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Richard III.

Shakespeare

Alle Probleme, die Shakespeare auf die Bühne bringt, alle Fragen, die er stellt, sind an uns gerichtet - heute. Hamlet, Lear, Richard III gehören nicht nur der Vergangenheit an. Othello, Desdemona sind weder romantische Bilder noch abstrakte Kreationen: Ihre Handlungen beleuchten unser Schicksal und unsere Handlungen, ihr Schicksal betrifft uns direkt, ihre Gewalt gehört zu uns, der Gewalt unserer Zeit.

Shakespeare ist – wie schon der polnische Theatertheoretiker Jan Kott ausführlich beschrieb – in diesem Sinne immer unser Zeitgenosse.

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Wir erleben gerade, angesichts immer größer werdender Bedrohungen und Krisen für die Menschenheit als Ganzes, weltweit die Renaissance egozentrischer Politikdarsteller, die jedwedes politische System ihren persönlichen Machtinteresssen zu unterwerfen versuchen und dabei weder auf Alliierte, Fakten noch auf die Bevölkerung Rücksicht nehmen …

Es ist hierbei bemerkenswert, wie selbst offen zur Schau getragene Skrupellosigkeit geeignet erscheint, selbst in Demokratien Anhänger & Wahlen zu gewinnen …

„Richard liebt Richard!“

Ob Trump, Bolsonaro oder Orban (um nur einige zu nennen) - sie alle hätten sicher ihre helle Freude am Auftreten unserer Titelfigur (wenn sie denn je ein Theater besuchten …)

Als Frühgeburt aus dem Mutterleib verstoßen, hinkt Richard durch die Welt. Im Krieg trieb ihn sein Haß zu großen Taten, im Frieden fühlt er Macht - und Wirkungslosigkeit.

Er plant deshalb den großen Auftritt: als skrupelloser Bluthund im Königsdrama – eine Krone als Entschädigung für alle Kränkungen! Richard wäre gerne König. Aber die Erbfolge steht ihm im Weg. Es regiert sein Bruder Edward IV. und auch sein anderer Bruder George ist noch vor ihm an der Reihe. Dazu dieser und jener Rivale, der beseitigt werden muss.

Richard braucht List, Energie und das kalte Lächeln des Siegers. Von allem hat er allerdings mehr als genug. Ein offen niederträchtiger Politikdarsteller zwischen Sein und Schein, verfolgt er seine Pläne virtuos und macht dabei das Publikum zum Komplizen. Ein Wortverdreher par excellence, der beweist, wie wenig Worte wert sein und dennoch töten können. Wer ihm zuhört, schwankt zwischen Bewunderung und Abscheu, denn Richards Lust ist eine bizarre Feier der eigenen Legende: ´Richard liebt Richard´. Abgrundtief grausam und zynisch bahnt er sich seinen Weg zur Macht, zum Tyrannen Richard III.

Besetzung

Oliver Kai Müller
Valerie Bolzano
Mélanie Linzer
Ursula Stampfli
Bastian Hahn
Leonard Schärf

Inszenierung: Christian Suhr

Spieldauer: 2 Stunden (eine Pause)

Presse

GROSS-GERAU - Da blicke einer durch am Ende der „Rosenkriege“. Die Gemengelage ist komplex. Wie in allen Königsdramen Shakespeares treten rund 35 Figuren auf, die sich gegenseitig bekriegen, umschmeicheln, ermorden und betrügen. Der Schlimmste war Richard III. (1452–1485), jedenfalls zeichnete Shakespeare auf diese Weise das Bild des Königs, so wie es das nachfolgende Haus Tudor vorgegeben hatte. Es lag in ihrem Interesse, den nach kurzer Herrschaft ermordeten Richard III. als Bösewicht der alten Herrscherfamilien zu brandmarken. Neue Forschungen haben ergeben, dass es wohl anders war. Shakespeare konnte sich um 1592 nur auf die Tudor-Überlieferungen berufen; für ein Königsdrama ein toller Stoff.

Richard III.: Das sich selbst liebende Schwein, der machthungrige Egomane, zu jeder Grausamkeit bereit, um den Thron zu besteigen, von dem er meint, dass er ihm zustünde. Nach vielen Demütigungen will er beweisen: Ich kann König. Unter der Regie von Christian Suhr zeigt die Büchnerbühne im Landratsamt Groß-Gerau das Psychogramm eines Staatsmanns, der zum Regieren nicht taugt, weil er sich mehr mit dem Lecken der eigenen Wunden und seiner Wut befasst als mit dem Wohl des Volkes.
Dabei verweist dieser Richard in die Gegenwart: Die Liste der Machthungrigen von heute ist ja lang; sie heißen Putin, Trump, Bolsonaro und so weiter: „Die Hölle ist leer, alle Teufel sind hier“, heißt es bei Shakespeare. Und dazu hämmert es rockend aus den Boxen: „The hell is empty“ – die Hölle ist leer.
Die Schauspielerriege um Suhr ist spitzenklasse. Sechs Personen spielen einen Haufen Figuren. Mit einer Perücke, Halskrause, einem Kleid verwandeln sie sich. Austauschbar sind sie schließlich, nur Glieder im Spiel um die Macht. Es kommt nicht darauf an, welcher Herzog gerade um den König herum dienert für den eigenen Vorteil und wer den Neffen ermorden soll. Und doch haben sie noch menschliche Regungen, Zweifel, Muttergefühle, Unschuld und immer wieder eine tiefe Traurigkeit. Die dichte Inszenierung und ein jährer Wechsel der Gefühle prägen diesen atmosphärisch intensiven Theaterabend.
Valerie Bolzano, Ursula Stampfli, Bastian Hahn und Leonard Schärf spielen sich sprachlich großartig ins Befinden ihrer Figuren hinein. Sie überzeugen durchweg mit bester Bühnenkunst bis zum mehrstimmigen Gesang. Mélanie Linzers melancholische Stimme vermittelt diffuse Sehnsucht – sie ist Richards seelischer Spiegel, das Volksgemüt, eine Kommentatorin, das Gewissen und die Hoffnung. Oliver Kai Müller verkörpert dagegen mit unbändiger Wucht die Gier und den Hass der Titelfigur. Er ist der Einzige, der seine Rolle im Stück beibehält. Als hinkender, in Schwarz gekleideter Punk macht dieser Richard in jeder Minute deutlich, dass er Liebe nicht kennt und sein Herz nicht verlieren kann, weil er herzlos ist. Wie ein hymnischer Ur- und Abgesang auf vergangene Zeiten klingt das vielstimmige schottische Traditional „The Parting Glass“ in dem es heißt: Den Schaden, den ich anderen zufügte, fügte ich mir selbst zu. Mit dieser Erkenntnis kommt das Drama fast zu einem guten Schluss.

19.10.20 Bettina Bergstedt, DARMSTÄDTER ECHO

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